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Die armen Leute aus dem Süden (Kosova)

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Beitrag von Rilind Sa Jan 05, 2008 8:49 pm

Die armen Leute aus dem Süden

Von der Exotik zum Drama – die Kosovo-Albaner hatten in Serbien immer einen schweren Stand

Unversöhnlich ablehnend stehen die Serben einem möglichen unabhängigen Staat Kosovo gegenüber – dabei haben sie die Entfremdung der eigenen Provinz durch anhaltende Repression selbst entscheidend mitzuverantworten. Die Ferne in der Nähe von Serben und Kosovaren reicht weit zurück, wie sich der Schriftsteller Bora osi erinnert. ...

Unversöhnlich ablehnend stehen die Serben einem möglichen unabhängigen Staat Kosovo gegenüber – dabei haben sie die Entfremdung der eigenen Provinz durch anhaltende Repression selbst entscheidend mitzuverantworten. Die Ferne in der Nähe von Serben und Kosovaren reicht weit zurück, wie sich der Schriftsteller Bora osi erinnert.

Von Bora osi

Belgrad war Ende der dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts voll von verschiedenen Nationalitäten. Die Juden hatten ihre Läden und Fabriken, die Tschechen reparierten Uhren und stimmten Klaviere, die Ungarn kümmerten sich um die Wasserleitung. Die ordentlichen Deutschen um den Strom im Elektrizitätswerk, die Russen arbeiteten in den Druckereien und in geodätischen Büros. Es gab Rumänen, Griechen, Slowenen, Letztere fuhren oft Rad und stiegen sonntags auf den nahe gelegenen Berg.

Mit ihnen lebte man normal zusammen, nur mit den Kosovo-Albanern ging es irgendwie nicht, sie wurden mit Schimpfnamen bedacht, allmählich bildete sich eine Mauer zwischen der serbischen Mehrheit und diesen Menschen, einem notwendigen «Übel» bei Arbeiten auf dem Bau und beim Sägen von Holz. Ihre Anwesenheit unter den Belgradern hatte für einen sechsjährigen Knaben etwas sehr Exotisches: Ich wusste, dass sie aus dem Süden kamen, arm und mager waren, überwiegend in den Höfen Holz in Scheite sägten, manchmal in Kellern schliefen und sich von Sardinen und Trauben ernährten. Sie waren bescheiden, ein wenig schüchtern, meistens freundlich. Trotzdem verhielt sich meine Mutter ihnen gegenüber irgendwie reserviert, ich erinnere mich nicht, irgendwann mit einem albanischen Knaben befreundet gewesen zu sein, ich denke, in unseren Schulen gab es sie nicht.

Dennoch gingen wir gern in die Konditoreien, die oft von solchen Menschen betrieben wurden; ich fragte meine Mutter, ob es die gleichen Leute seien wie die, die vor unseren Häusern Holz sägten, sie sagte: wahrscheinlich schon!
Schlimmster Terror

Nach dem Sieg von Titos Armee im Zweiten Weltkrieg manifestierte sich eine allgemeine Einheit und Gleichberechtigung der jugoslawischen Bürger, später wurde das langsam aufgeweicht, einige waren dann doch gleicher als die anderen. Erst zwei Jahrzehnte nach 1945, nach dem Sturz des ersten jugoslawischen Polizeichefs Rankovi, kam das riesige Ausmass repressiver Massnahmen, die dieselben kosmopolitischen Kommunisten in Kosovo durchgeführt hatten, ans Licht. Dort hatte es lange Zeit den schlimmsten bolschewistischen Terror gegen die albanische Minderheit gegeben.

Unter harten Kommunisten gibt es oft verkappte Nationalisten, das haben die neuesten Ereignisse gezeigt. Während der Miloevi-Diktatur warfen viele Offiziere, Politiker und Intellektuelle leichthin ihre Parteibücher weg, nahmen ihre fünfzackigen Sterne ab, brachten die Kokarde der etniks an ihren Kappen an und schlossen sie ins Herz, das Wahrzeichen der Nazi-Kollaborateure im vorherigen Krieg, dem Weltkrieg. Schon beim Terror von Titos Polizeichef spielte ein ähnliches Motiv eine Rolle: Dieses «skipetarische Pack» aus dem Süden will über das alte serbische Land in Kosovo herrschen, dort stehen die bekannten mittelalterlichen orthodoxen Klöster und Kirchen, dort liegt auch das berühmte Amselfeld, auf dem das mittelalterliche serbische Zarenreich unter dem Ansturm der Türken gefallen ist! Kaum einer berücksichtigte, dass die albanischen Menschen dieser Gegend, wiewohl in der Minderheit, von einem viel älteren Volk auf diesem Terrain, dem illyrischen, abstammten. Dann wuchs ihre Zahl rapide an, fast eine demografische Revolution spielte sich dort ab.

Anfang der sechziger Jahre hatte ich eine sechsmonatige Episode in Kosovo, ich war Soldat in der schönen orientalischen Stadt Prizren, durch die sich der durchsichtige Fluss Bistrica schlängelt. Diese Zeit war erfüllt von der Klarheit der Landschaft und den sehr angenehmen dortigen Bewohnern. Ich pflegte Umgang mit einigen Leuten, ging in ihre Häuser, zumindest in den für die Männer vorgesehenen Teil, die Mädchen lugten immer schüchtern von ihrem oberen Stockwerk durch die dichten Netze ihrer Sitten herab. Was nach wie vor ein Manko meiner Berührungen mit diesen Menschen ist: Ich kann immer noch nicht ihre Sprache. Das einzige albanische Wort, das ich von dort mitgenommen habe, ist «ljulj», Rose.

Danach verwandelte sich das, was in meiner Kindheit die Exotik des Säge- und Konditorengewerbes war, was mein friedlicher Militärdienst im dichten Grün von Prizren war, in ein Drama, Kosovo wurde zum Pulverfass. Tito versuchte, die Lage zu beruhigen, indem er den Kosovo-Albanern 1974 mit dem ihm eigenen Pragmatismus eine starke Autonomie zugestand, das vergassen sie nicht. Dass sie den anderen jugoslawischen Republiken auf einmal fast gleichgestellt waren. Und so trugen sie auf ihren ersten Demonstrationen nach seinem Tod, auf denen sie für ihre Rechte kämpften, die immer mehr nur auf dem Papier standen, sein Bild mit sich.

Der Krieg, den die Miloevi-Clique begonnen hatte, enthüllte alle Einzelheiten dieser ethnischen Verwerfung. Der serbische Nationalismus wurde mit kosovarischem Extremismus beantwortet, alles zusammen führte zu einem unauflösbaren Wirrwarr in den Köpfen der europäischen Politiker. Ein Teil dieser Herren glaubte blind an die guten Absichten des serbischen Regimes, ein wichtiger europäischer Schriftsteller ergriff sogar Partei für die offenen Übeltäter und Kriegsverbrecher aus Belgrad.

Auf dem PEN-Kongress 1999 in Bremen sass ich neben einem Freund, einem albanischen Dichter aus Kosovo. Von seinem ganzen, bei der serbischen Invasion niedergebrannten Haus war nur der Schlüssel des verschwundenen Heims in seiner Hand übrig geblieben. Ich versuchte, unsere gemeinsamen deutschen Kollegen auf diesen Schlüssel aufmerksam zu machen. Einer von ihnen, ursprünglich aus der DDR, sagte, er glaube diese Geschichte nicht.

Ich erinnere mich, dass ich den Saal danach türschlagend verlassen habe. Das Echo darauf war in Deutschland ziemlich gut, in Serbien ganz schlecht. Seit damals meint man, ich hätte zusammen mit einigen Belgrader Gleichgesinnten die Flugzeuge der Nato-Alliierten aus Aviano veranlasst, Belgrad zu bombardieren. Wir wissen im Übrigen gut, wer schuld an diesen Angriffen war.

Die Freiheit lernen

Jetzt zeichnet sich das Ende dieser Geschichte ab, die mit jenen armen Leuten begonnen hat, die in Kellern Trauben und Sardinen gegessen haben und heute mit viel Mühe versuchen, auf ihrem Land zu leben, nach ihrem Wunsch und mit dem Recht auf Unabhängigkeit, bei einem behutsamen Umgang mit der eigenen Freiheit. Diese fleissigen, stolzen und harten Menschen haben schon mehrmals gezeigt, wie schwer es ist, mit dieser Freiheit umzugehen. Und haben es bisweilen geschafft, viele, die ihnen wohlgesinnt sind, zu enttäuschen: Müssen sie, aus welchen Gründen auch immer, die Gotteshäuser einer anderen Religion anzünden? Wohl auch deshalb habe ich es schwer, meine serbischen Landsleute zur Vernunft zu bringen, dass sie die Kosovo-Albaner in Frieden lassen und sich endlich mit ihrem eigenen Schicksal befassen.

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/die_armen_leute_aus_dem_sueden_1.645044.html

Bora osi, geboren 1932 in Zagreb, gehört zu den führenden serbischen Schriftstellern. Er lebt in Berlin und Rovinj. Zuletzt ist 2007 bei Suhrkamp ein Reportage-Band zu Ex-Jugoslawien erschienen: «Die Reise nach Alaska». – Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Griesshaber.
Rilind
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