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Jugendkriminalität in der Türkei

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Beitrag von sonnyliston22 Mi Jan 16, 2008 11:05 pm

Schont die Strafmaschinen

15. Januar 2008 Die Türkei hat über Jahrzehnte bittere Erfahrungen mit dem gesammelt, was deutsche Politiker für rückfällig werdende jugendliche Straftäter fordern. Das klassische „Verbesserungshaus für Kinder“ (cocuk islah evi) der Türkei entspricht weitgehend dem, was Politiker der CDU und CSU als Erziehungscamps einrichten wollen. Noch während des Zweiten Weltkriegs war das erste Haus dieser Art geschaffen worden.

Nicht immer leisteten sie, was ihr Name suggerierte. Meist wurde das Gegenteil einer Verbesserung erreicht, und lange waren sie vor allem Anstalten, die aus kleinen Verbrechern große machten. Erst in den letzten Jahren wandelten sich diese Heime: Im Zusammenhang mit neuen Gesetzen und einer Reorganisation des Strafvollzugs erhielten sie 2005 den Namen „Kindererziehungszentren“ (cocuk egitim merkezi). Dem werden sie heute auch gerecht.

Man müsse töten, um zu leben

Zuvor aber konnte die Zeitung „Milliyet“ in einer Reportage aus dem Verbesserungshaus in Ankara berichten, dass es lange ein Zentrum für Drogenhandel und ein Ort der Brutalität war. Nicht der Staat hatte die Kontrolle über das Heim und seine großen Schlafsäle, sie lag in den Händen einiger jugendlicher Führer, und über sie rekrutierten sich draußen Verbrecherbanden. Die Straftaten der elf bis zwanzig Jahre alten Jugendlichen hatten sich nahezu gleichmäßig auf die Delikte Mord, Diebstahl, Vergewaltigung und Raub verteilt.

Funktionieren konnte das System nur, weil die Wärter korrupt waren, ihre Augen schlossen, dafür aber ihre Hände aufhielten. Als „Milliyet“ seine Reportage druckte, konnte die Zeitung bereits berichten, dass dieses Heim ein Jugenderziehungscamp geworden ist. Einen Insassen zitierte die Zeitung, er habe lange gemeint, man müsse töten, um zu leben. Nun habe er gelernt, für sein Leben verantwortlich zu sein, und er werde das Heim als gestärkter Mensch verlassen.

Aus jugendlichen werden erwachsene Straftäter

Neue Gesetze und auch eine neue Mentalität haben in diesem Jahrzehnt die früheren Missstände beseitigt, bestätigt Taner Demir, Anwalt in Istanbul. Theoretisch hätten sich auch die Verbesserungshäuser um die Erziehung der Kinder kümmern müssen. Die Praxis habe aber anders ausgesehen. Das weiß er auch aus eigener Anschauung. Denn als der in Deutschland geborene Demir Ende der achtziger Jahre in die Türkei zurückkehrte und in Ankara die juristische Berufsfachschule besuchte, lagen dieses Institut und sein Studentenwohnheim auf demselben Gelände wie eines der angeblichen Verbesserungshäuser. Aufgrund der schlechten Behandlung seien aus den jugendlichen Straftätern später erwachsene Straftäter geworden, beobachtete Demir.

Bereits unter der Regierung Ecevit war Ende der neunziger Jahre der Strafvollzug reformiert und modernisiert worden. Die Regierung Erdogan änderte dann im Jahr 2005 nicht nur den Namen in Kindererziehungszentrum. Sie sorgte auch dafür, dass straffällig gewordene Jugendliche in diesen Einrichtungen eine schulische und handwerkliche Ausbildung erhalten, und führte den freien Strafvollzug ein, bei dem ein Verurteilter zu Hause leben kann, sich aber regelmäßig bei den Behörden melden muss.

Bestnoten im internationalen Vergleich



Heute ist die Motivation der Sozialarbeiter, Psychologen und Pädagogen in den Erziehungszentren höher: Sie haben die jugendlichen Straftäter unter Kontrolle, nicht umgekehrt. Regelmäßige Konzerte finden statt, Kurse für Keramik oder Kerzengießen. Mehr als die Gesetze habe sich die Mentalität verändert, sagt Demir. Die Jugendlichen dürften tagsüber sogar das Heim verlassen, um die Schule zu besuchen. Die Türkei sei in Sachen Strafen und Strafvollzug sensibler geworden, europäischer. Bei einem internationalen Vergleich von „Erziehungscamps“, den die BBC durchführte, schnitt die Türkei am besten ab. Nur drei Prozent der Jugendlichen, die in die Gesellschaft zurückkehrten, wurden rückfällig, und aus den Heimen fliehe keiner, obwohl die Türen offen stünden, berichtete BBC.

Neben den Erziehungszentren kennt das Jugendstrafrecht auch die „Staatsheime“ (Devlet Yurdu). In sie können Jugendliche eingewiesen werden, die als Straßenkinder in einem kriminellen Umfeld aufwachsen und noch nicht straffällig geworden sind, aber auch Jugendliche, die kleine Delikte begangen haben. Anders als die Verbesserungsheime standen die Staatsheime zu keinem Zeitpunkt in der Kritik; in ihnen wachsen auch Waisen auf. Mit diesen Institutionen wird der Staat seiner Sorgepflicht gegenüber Kindern aus einem gefährdeten Umfeld gerecht. Sie sollen Kinder und Jugendliche wieder in die Gesellschaft integrieren. Genau das tun inzwischen auch die zu Erziehungszentren gewordenen Verbesserungshäuser.

Das 2005 verabschiedete Kinderschutzgesetz (cocuk koruma kanunu) stelle den Schutz der Kinder über deren Bestrafung, sagt Demir. Es sieht die Heime als letztes Mittel vor. Eine Strafe von weniger als einem Jahr werde in ein Bußgeld umgewandelt. Bei mehr als einem Jahr wird der Jugendliche in ein „Staatsheim“ (Devlet Yurdu) überwiesen. Ist einer rückfällig - die Türken sagen dazu: wird er eine „Strafmaschine“ (suc makinesi) -, muss er den Weg in ein Erziehungszentrum antreten oder in die Kinderabteilung eines Gefängnisses. Denn landesweit bestehen nach Angaben der Homepage der Generaldirektion für den Strafvollzug nur drei Erziehungszentren (in Ankara, Elazig und Izmir) sowie zwei spezielle Kinderstrafvollzugsanstalten in Ankara und Incesu. Zu mehr reicht der Etat des Justizministeriums nicht.

Quelle
sonnyliston22
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